Klauen – Klauen
Klauen – Klauen
Parallel Schallplatten.
Klassische Werbung ist tot, natürlich – es zählen nur noch Nachhaltigkeitssponsorings. Seit fünf Minuten nach seiner Geburt ist auch der Rock tot, der beliebteste Zombie demnach weit und breit. Und Vinyl könnte inzwischen zum zweiten Mal tot sein. Nach dem Tiefst-Tief von 2006 mit 300.00 verkauften Scheibchen bekam die Steilkurve vorletztes Jahr einen ersten Knick und blieb bei drei Millionen stehen.
Klauen wollen nicht daran schuld sein. Khanfir und Hagedorn kreisen als musikalische Magnete seit fast dreißig Jahren umeinander. Ja, ich kenne beide persönlich. Nein, Wolfgang erkennt mich nicht mehr. Der Bauch halt. Die Bandstationen hießen Emotional Ketchup Burst, Hifi Killers, Electric Beatniks und Klauen. Klauen ist die Band am Ziel. Noiserock war ihr Ding, Vorbilder reichten von Tad über Alice Donut zu frühen Monster Magnet. Das ist alles lange her, und wenn die erwachsenen Söhne von Khanfir heute zweifeln, ob ihr Vater live wirklich oben ohne auftreten muss, hält das ein Mucker aus. Zwischenzeitlich hat Khanfir die Romane „Wittgenstein“ und „Abgeknickt“ veröffentlicht, der neue liegt bereit.
Die Band ist auf dem Papier ein klassischer Rock-Vierer, hinzu kommen aber Tasten und Laptop, und wer Gelegenheit hat, sie live zu sehen, versteht, dass das äußerst fleißige Artwork der Vinylausgabe keine leere Versprechung ist, sich in Projektionen auf der Bühne wiederfindet. Und bei der langen Bandgeschichte kann Klauen aus dem Vollen schöpfen.
„Die Tasse“ eröffnet die LP mit einem Disco-Bumsbass, dienstbare Gitarre, lässt gedoppeltem Gesang Raum, unbequem und sehr tanzbar, Khanfir dient auch als Chorknabe seiner selbst. Danach „Vampirmutprobe“ in klarem Sixties-Sound, Psychedelik mit Schweineorgel und dem Gesang eines gefesselten Irren. „Oft“ dreht Berliner Angebertechno der nutzlosen Neunziger nach links, der Fuß wippt selbständig mit. Es geht durch elf Songs, ein Album, dessen Tracks gerade genug gemeinsam haben, um eine Einheit zu bilden, sich aber nirgends wiederholen.
Das Booklet mit dem Titel „Wir essen alles“ versammelt Wolfgang Hagedorns schräge Fotocollagen und zwölf Texte zum Essen von Raouf Khanfir auf 40 Seiten, im Format etwas größer als die Hülle einer Vinyl-Single: ein Gesicht aus Steak, mit Spießchen als Haaren, Froschaugen, einer Fliege als Nase und einer Zuckerschote als Mund. Reinriechen unter klauen.bandcamp.com. Like it or shrike it.
Thomas Baumann